Potiki

Potiki atmete tief ein. Ein und wieder aus, immer wieder, regelmäßig und tief, einatmen, ausatmen. Er lag auf dem Rücken, tiefatmend in seinem kippeligen Rindenboot, und das Blut rauschte in seinen Ohren. Durch die dünne Bordwand konnte er das Glucksen der Wellen hören, aber das Brausen in seinen Ohren war stärker, und es lag auch nicht nur am Schaukeln seines Bootes, daß sich der Himmel derart über ihm zu drehen schien. Der Himmel über ihm hatte immer noch rote Flecken. Einatmen, ausatmen, zur Ruhe kommen. Atmen.

Die Fischer von Azul Island wagten sich selten zum Riff hinaus. Zu unberechenbar war die Strömung, und die scharfkantigen Unterwasserfelsen hatten schon manches Boot der Länge nach aufgeschlitzt. Wer hier mit dem Fischspeer tauchte, konnte Ssarka begegnen, dem Menschenhai mit den dreieckigen Flossen, oder der gefleckten Muräne, und in den Höhlen des Felsens lauerte der Krake auf Beute, zog die Taucher mit seinen heranpeitschenden Fangarmen zu sich ins Dunkel und gab sie nie wieder frei. Und doch zog es von Zeit zu Zeit immer wieder einzelne hinaus zum Riff. Denn hier und nur hier fand man die kostbaren blauen Perlen, für die Azul Island berühmt war. Wer beim Fischen glücklos blieb, wessen Familie hoffnungslos verschuldet war, wer einen eigenen Hausstand gründen wollte, konnte hier womöglich mit einem einzigen Tauchgang alle seine Probleme lösen. Auf die eine oder andere Art. Wenige fuhren hinaus zum Riff, und noch weniger kehrten lebend und unversehrt zur Insel zurück. Aber nur eine Handvoll Fischer ging regelmäßig am Riff auf Tauchgang und suchte nach den blauen Perlen. Potiki war einer von ihnen.

Als sich sein Atem beruhigt hatte, setzte Potiki sich auf. Seine Hände zitterten noch immer ein wenig, doch griffen sie bereits mit der gewohnten Sicherheit nach dem kleinen Sammelnetz und schütteten den Inhalt ins Boot aus. Viel war es nicht, was er diesmal heraufgebracht hatte, auch hier am Riff waren die Perlmuscheln selten geworden. Nur drei Stück hatte er auf seinem Tauchgang gefunden, und er war schon das zweite Mal unten gewesen. Blaugraue, fast handtellergroße Muschelschalen, algenbewachsen und zum Teil mit den weißen Kalkgehäusen der Seepocken bedeckt. Potiki griff zum Messer und öffnete sie nacheinander durch einen raschen Schnitt in den Schalenmuskel. Nichts. Nichts. Und zum dritten Male nichts. Ärgerlich warf er sie in den Sammelkorb am Heck des Bootes, wo bereits vier weitere lagen. Zumindest sein Abendessen war gesichert. Dann betrachtete er nachdenklich den Felsbrocken neben dem Korb und fragte sich, ob er ihn tatsächlich heute noch benutzen sollte.

Es galt als eine herausragende Leistung, zweimal am gleichen Tage zu tauchen, doch Potiki hatte noch niemals gehört, daß es jemand ein drittes Mal versucht hätte. Er blickte noch einmal in den Korb, auf die klägliche Ausbeute seiner heutigen Fahrt, schob dann das Messer zurück in die Beinscheide und befestigte das Netz wieder an seinem Gürtel. Als er die Hand ausstreckte, zitterte sie nicht mehr, Puls und Lunge arbeiteten ruhig und gleichmäßig wie gewohnt. Potiki atmete tief durch, weitete die Lunge ein letztes Mal und griff entschlossen zu dem letzten, dem dritten Felsbrocken. Dann ließ er sich über Bord gleiten, und der Stein zog ihn in die Tiefe.

Ohne größere Kraftanstrengung gelangte Potiki so auf den Meeresgrund. Nur ein unangenehmer Druck auf den Ohren machte sich bemerkbar als Folge des schnellen Abtauchens. Potiki drückte mit Daumen und Zeigefinger die Nasenflügel zusammen und preßte gleichzeitig von innen Luft in den Nasenraum. Sofort wölbte sich das Trommelfell wieder nach außen, der Druck verschwand, doch ein schmerzhaftes Knirschen im Ohr machte ihn nachdrücklich darauf aufmerksam, daß er sich mit diesem dritten Tauchgang vielleicht doch etwas zu viel zugemutet hatte.

Potiki ließ den Stein liegen und schwamm mit kräftigen Beinstößen davon. Vor ihm ragte drohend das gewaltige Felsmassiv des Riffs auf. Das Meer hatte in dieser Tiefe einen dunklen Grünton angenommen und wirkte gar nicht mehr so hell und blau wie an der Oberfläche. Auch biß ihn nun das Salzwasser mit einer Heftigkeit in den Augen, wie Potiki es seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Es blieb nicht mehr viel Zeit, schon begann die Lunge nach neuer Luft zu verlangen, und er hatte noch immer nichts entdeckt.

Hier am Riff gab es eine gefährliche Strömung, die am Felsen entlangjagte und schon manchen Taucher mit sich fortgerissen oder am Stein zerschellen lassen hatte. Die dunklen, großblättrigen Algen lagen flach auf dem Boden, so stark jagte der Strom über sie hinweg. Potiki hielt respektvollen Abstand, seit ihn die Strömung einmal erfaßt und beinahe getötet hatte. Die Signale der Lunge wurden lauter, fordernder. Potiki stieß ein wenig Luft aus, um den Überdruck loszuwerden. Noch immer nichts.

Mit der Geschmeidigkeit eines Aals bog er um einen Felsvorsprung. Die scharfkantigen Felsen wichen auseinander und gaben den Blick auf ein weites Tal frei, das in ein für diese Tiefen ungewöhnlich leuchtendes Blau getaucht war. Potiki arbeitete sich mit kräftigen Arm- und Beinstößen hinunter, achtete kaum darauf, als die spitzen Korallenfinger über seine Haut schürften, und sah sich hastig um. Das Rauschen in seinen Ohren war nun zu einem mächtigen Brausen angeschwollen, im Hinterkopf pulsierte das Blut, stoßweise, mit jedem Schlag heftiger. Wieder stieß er ein wenig Luft aus, die Lunge flatterte. Es war höchste Zeit zum Auftauchen. Wie fiebernd irrten seine Hände über Felsen und Korallen, dort eine Muschel, er schob sie in seinen Korb, ohne sie genauer zu betrachten, noch eine, die er wahllos packte. Nun hoch, doch langsam, langsam. Schon vielen Tauchern war das Trommelfell geplatzt, weil sie zu schnell nach oben geschossen waren. Potiki ignorierte das Schreien seiner Lunge und ließ sich bewußt gemächlich der Oberfläche entgegensinken.

Doch plötzlich entdeckte er etwas, das ihn innehalten ließ. Verschwommen und undeutlich erkannte er die Felswand unter sich, und dort, aus einer der Höhlen drang ein seltsames, bläuliches Leuchten, sehr hell, ein Licht, wie es Potiki noch niemals in seinem Leben gesehen hatte. Es schien, als käme das seltsame Blau des Tales aus eben dieser Höhlung heraus. Zu tief, zu tief, rauschte das Blut in seinen Ohren, hinter seinen Augen drehten sich bunte Kreise, die Lunge schrie, schlug schneller und schneller, zu spät, zu tief, viel zu tief. Potiki biß die Zähne zusammen. Der Oberkörper kippte nach vorn, Armzug, Beine, Potiki zog sich am Felsen abwärts, zog sich Zentimeter um Zentimeter weiter nach unten, wo das seltsame Licht zu pulsieren schien, und spürte, wie sich eine fremdartige Leichtigkeit in seinen Gedanken ausbreitete. Der Schmerz in den Ohren klang ab, wurde schwächer und schwächer, machte schließlich einer nicht unangenehmen Taubheit Platz. Und immer noch zog sich Potiki weiter nach unten, wurde leichter und freier mit jedem Griff, der ihn weiter in die Tiefe zog, Hand um Hand, bis er die Höhle erreichte. Das hektische Schlagen der Lunge hatte sich beruhigt, und fast war es ihm, als könne er endlos so weitertauchen, davonschweben im magischen, schwerelosen Blau des Tales... Potiki war ein zu erfahrener Taucher, als daß er Onu die Hirntaubheit, die sich seiner bemächtigte, nicht erkannt hätte. Das immer stärker sich ausbreitende Glücksgefühl war die tödlichste Gefahr, die einem Menschen hier unten begegnen konnte. Da, nun, hatte er die Höhle erreicht, griff blindlings zu und ließ sofort den Felsen los, nur hinauf, Luft, Luft, er schoß mit atemberaubender Geschwindigkeit in die Höhe, alle Vorsicht außer Acht lassend, jagte nach oben, durchstieß die Wasseroberfläche...

Als er wieder zu sich kam, fand er sich in seinem Boot liegend. Der Himmel hatte eine seltsam unwirkliche Blautönung angenommen. Mühsam rappelte sich Potiki auf, und tausend Seeigel schienen in seinem Kopf durcheinanderzuwirbeln. Wo er gelegen hatte, war eine Lache aus schon fast eingetrocknetem Blut zu sehen, und er spürte auch einen unangenehmen Blutgeschmack im Mund. Er spuckte aus. Blut. Er würde nun womöglich viele Wochen nicht mehr tauchen können. Und wofür das alles.

Seine rechte Hand war noch immer zur Faust geballt. Fest geschlossen hatten sich die Finger um etwas zusammengekrampft, klammerten sich darum wie ein Seestern um eine Fleischmuschel. Langsam, unendlich langsam öffnete Potiki die Finger und hielt dabei den Atem an. Da lag sie. Makellos rund und geheimnisvoll wie von einem inneren Feuer strahlend lag auf seinem Handteller die wohl größte Blauperle, die je ein Fischer von Azul Island gesehen hatte. Potiki atmete flach, fast wagte er es nicht, Luft zu holen. Er hatte schon unzählige Perlen vom Riff heraufgeholt, aber diese hier, der dunkle Blauton und jenes meerfarbene Glimmen in ihrem Innern, vergessen waren die Seeigel im Kopf und die Blutlache, Potiki hockte da, im Anblick der blauen Perle versunken.

Erst als der Himmel nach und nach die dunkle Farbe der Perle annahm und langsam die Nach heranrückte, besann sich der Fischer auf seine Umgebung und auf die notwendige Rückfahrt. Vorsichtig, fast andächtig ließ er die Perle in seinen Brustbeutel rollen, und er spürte, wie eine wohltuende, pulsierende Wärme von ihr ausging. Oder war es nur das Klopfen des eigenen Herzens? Potiki ergriff das Paddel und trieb mit langsamen, gleichmäßigen Schlägen sein Boot der heimatlichen Insel zu. Ja, die heutige Ausfahrt hatte sich gelohnt. Und der dritte Tauchgang, so gefährlich und gewagt er auch gewesen war, es war glimpflich ausgegangen, die geplatzte Ader am Hinterkopf, der Kopfschmerz, die blaue Perle war all das wert und noch viel mehr.

In der Nacht konnte Potiki kaum schlafen, sosehr hatte ihn sein seltsamer Fund erregt. Immer wieder schüttelte er den Beutel aus, in dem er seine Perlen verwahrte, und nahm die geheimnisvolle blaue Kugel in die Hand. Dreizehn blaue Perlen hatte er im Verlauf der Woche gefunden, doch keine war darunter, die der, die er heute heraufgebracht hatte, auch nur annähernd gleichkam. Stumpf und unscheinbar, klein und häßlich lagen sie dort neben dem im Mondschein dunkel glimmenden Licht aus der Meerestiefe. Potiki strich vorsichtig mit den Fingerspitzen über die blaue Kugel, die glatt und makellos rund in seiner Hand lag, und spürte, wie eine bisher ungekannte Wärme sich in ihm ausbreitete.

In der spiegelnden Oberfläche konnte er sein Gesicht erkennen, seltsam blau und seltsam verklärt. Potiki konnte auch sehen, wie Ssarka, der Menschenhai, durch das Blau der Kugel strich. Wie schön er war. Und wie elegant die gefleckte Muräne durch das Wasser glitt. Dort der mächtige Krake, und dort jagte die wilde Riffströmung dahin und riß alles mit sich fort, das sich ihr in den Weg stellte. Das alles sah Potiki in dem leuchtenden Blau der Unterwasserwelt, und je länger er schaute, desto deutlicher wurde ihm, daß diese Welt mehr war als ein bloßer Beruf, daß das Riff dort unten, umgeben von geheimnisvollem blauem Schweigen, mehr war als einfach nur ein gefährlicher Arbeitsplatz, und Potiki war ein Teil davon. Erst gegen Morgen schlief er ein, die Perle hielt er fest in seiner Hand.

Trotz der durchwachten Nacht war Potiki am andern Tag bereits zeitig auf den Beinen. Die anderen Fischer, die ihre Boote klarmachten, hörten ihn fröhlich vor sich hinsingen, als sie an seiner Hütte vorbeikamen, und schüttelten verwirrt die Köpfe. Denn diejenigen, die regelmäßig am Riff tauchten, waren mit der Zeit allesamt stille und nachdenkliche Männer geworden, die selten lachten und noch seltener sangen.

Potiki saß auf dem Boden seiner Hütte und hatte seine Schätze vor sich ausgebreitet, zwölf der seltenen und kostbaren blauen Perlen vom Riff, und dazu die eine, die er gestern mitgebracht hatte. Noch immer ging dieses seltsame blaue Leuchten von ihr aus, und ihm wurde leicht und schwebend zumute, wenn er sie nur ansah. Fast glich das Gefühl dem des gefährlichen Tiefenrausches, der schon manchen Taucher das Leben gekostet hatte. Doch spürte Potiki, daß, welcher Zauber auch immer in der leuchtenden Perle wohnen mochte, gar nicht anders geartet sein konnte als gut und freundlich wie das Meer selbst, wenn es vom wolkenlosen Himmel in das ruhige, leuchtende Wasserblau getaucht wurde. In der Ferne glaubte er sogar, ein Singen von Delphinstimmen zu erkennen, wie er es manchmal auf seinen Tauchgängen hatte mitanhören dürfen. Und Potiki stimmte leise mit ein.

Potiki hatte es im Umgang mit dem feinen Perlenbohrer zu einer großen Kunstfertigkeit gebracht. Bald hatte er die zwölf blauen Perlen auf eine Perlenschnur aufgezogen, jede einzelne durch einen festen Knoten gesichert, und es war eine recht ansehnliche Kette dabei zustande gekommen. Fast zärtlich hob er nun die letzte Perle auf und setzte den Bohrer an.

- Mit einem Aufschrei ließ er sie fallen und hielt sich die Wade. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn, sekundenlang blieb ihm die Luft weg. Potiki kannte die Stelle. Damals, der entsetzliche Wadenkrampf am Riff. Furchtbare, endlose Augenblicke hatte er wie erstarrt dagehangen, spürte, wie die Strömung nach ihm griff und ihn langsam, langsam heranzog, dorthin, wo der Strom reißend wurde und durch die scharfkantigen Felsen hindurchjagte. Und Potiki von Schmerz gelähmt, unfähig zu entkommen, und das Riff, der Strom, der Schmerz, da hatte er zu der langen Nadel gegriffen, die jeder Perlentaucher in der Messerscheide mitführte, und mit aller Kraft stieß er sie in die Wade hinein, daß sie auf der anderen Seite wieder herauskam. Sein Schrei mußte kilometerweit hörbar gewesen sein in der stummen Unterwasserwelt, explosionsartig brüllte der Schmerz durch seinen Kopf, fegte alles hinweg, Denken, Fühlen, auch jenen lächerlichen Wadenkrampf, wie ein Nichts hinfort, und mit schnellen, kräftigen Schwimmstößen riß sich Potiki aus dem Strom heraus, dann fort, nach oben so schnell wie möglich, bevor der Blutgeruch Ssarka anlockte, dessen dreieckige Rückenflosse in dem Augenblick die Wasserfläche durchschnitt, als Potiki sich aufatmend ins rettende Boot fallenließ. Eine furchtbare Erinnerung.

Potiki betastete die Narbe, die von der Nadel in seiner Wade zurückgeblieben war. Der Schmerz war abgeebbt. Behutsam hob er die Perle auf. Wenig später hatte er auch sie auf die Schnur aufgezogen, wo sie nun zusammen mit den anderen blauschimmernden Kugeln eine stattliche Reihe bildete. Potiki knüpfte einen letzten Knoten hinein und freute sich darauf, die Kette an einem der nächsten Tage auf den Markt tragen.

Aber etwas war anders geworden, als Potiki die Perlenschnur zusammengeknüpft hatte. Er ließ die Kette in seinen Brustbeutel gleiten, doch das warme Pulsieren und das Glücksgefühl blieben aus. Und als er die Kette wieder hervorzog, um die blaue Perle noch einmal zu betrachten, hatte sie all ihren Glanz verloren, stumpf und blicklos hing sie dort zwischen den anderen Perlen, und es war nicht das kleinste bißchen Zauber mehr in ihr. Tot und kalt lag sie in Potikis Hand, ein wenig wie jene wertlosen Glasperlen, die man einst seinen Vorfahren für die Schätze vom Riff gegeben hatte. Und ihm wurde elend zumute, als er sie so ansehen mußte.

Ach, nichts half von den alten geheimen Mittelchen der Perlentaucher, und ob er nun mit einem schlichten Speckstreifen die Oberfläche polierte oder mit dem teuren Perlenpflegemittel vom Festland, der alte Glanz blieb verloren und kehrte nicht zurück. Die anderen Perlen aber hatten ihre Farbe behalten, glänzten weiter vor sich hin, genauso stark oder so schwach, wie sie an jedem anderen Tag auch geleuchtet hatten, wie sie an jedem anderen Tag auch weiterhin leuchten würden, und ein jeder hätte sie für schön halten können, der niemals jene andere Perle gesehen hatte.

Potiki konnte nicht schlafen in dieser Nacht. Nicht in dieser und nicht in den darauffolgenden. Unruhig wälzte er sich von einer Seite auf die andere, immer wieder, stundenlang, Nächte durch, konnte keinen Schlaf finden, und wenn ihn von Zeit zu Zeit doch ein kurzer Schlummer umfing, dann träumte er vom Riff, von dem blauen Tal, in dem eine Perle ruhte von nie gesehener Größe und Reinheit, und weinend erwachte er wieder. Tagsüber aber hockte er in seiner Hütte, die Kette in der Hand, den Blick auf die verblaßte Perle gerichtet, die nicht mehr leuchtete, seit er sie zur Kette band.

Es war ein grauer, trüber Morgen, als Potiki das Boot ins Wasser schob und erneut zum Riff hinauspaddelte. Grau und schwer zogen tiefhängende Wolken über das Meer, und die Wellen plätscherten in kaltem Graugrün um ihn herum, in das man sich besser nicht hineinwagte. Potiki fröstelte. Ein letztes Mal blickte er auf die Perle in seiner Hand, blaß und leer lag sie da, dann richtete er sich auf, holte tief Luft und schleuderte sie davon, weit weit über das Meer hinaus, so weit er es vermochte. Und je weiter sie flog, desto größer schien sie Potiki anzuwachsen, wurde heller und strahlender, bis ihr Blau den gesamten Himmel ausfüllte, und als sie ins Meer hinabsank, breitete sich vom Riff her eine warme, freundliche Bläue über das Meer aus. Lange Zeit saß Potiki dort, sah dem Meer und dem Himmel zu, die sich wie eine blaue Perle über und unter ihm wölbten, und erst am späten Abend kehrte er zur Insel zurück.

Potiki hat nie gesprochen über die Dinge, die er am Riff erlebte. Die Taucher vom Riff waren es nicht gewohnt, allzuviel über sich selbst zu reden. Und dennoch, an manchen Tagen, wenn der Himmel wolkenlos blau über dem Meer von Azul Island liegt, dann erzählen sich die Fischer die Geschichte von Potiki und der blauen Perle, die weit draußen beim Riff versunken ist, so tief, daß sie niemand jemals wiederfinden wird.





© Petra Hartmann