Rimurics Kranich,

zu Nutz und Freude des Prinzen Ardua

im Auftrag seines Vaters, des Königs Jurtak von Movenna,

neu erzählt durch Gulltong,

erster königlich-mogalithischer Dichter

am Hofe des Königs zu Pol Movenn


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Teil I:

Der Kranich

Der Morgenhimmel hatte sich bereits etwas ins Rötliche verfärbt, und schon seit einiger Zeit schwebte der monotone Singsang der Lerchen über den Feldern, als hoch oben auf der Koppe des Hügels ein Reiter auftauchte. Der Fremde hatte die Sonne im Rücken und blickte schweigend ins Tal hinab, weder Roß noch Reiter regten sich, nur der Wind, der hier oben etwas kräftiger wehte als über den tiefergelegenen Roggenfeldern, spielte leicht in der Mähne des Rappen und griff von Zeit zu Zeit auch in die Locken des jungen Mannes hinein.

Nach einer Weile erklang gedämpfter Hufschlag, zwei weitere Reiter, die dem ersten augenscheinlich gefolgt waren, kamen herangetrabt. "Agorlin, Agorlot!" rief der junge Mann freudig und wies mit einer weitausholenden Handbewegung auf das freundliche Hügelland um sie herum und auf das kleine Dörfchen, das im Tal unter ihnen lag, deutete dann auf die goldgelben Felder, auf denen die Halme sich leicht im Morgenwind bewegten. "Seht nur, wie hoch und schlank der Roggen steht!"

Agorlin und Agorlot wechselten einen erstaunten Blick miteinander. Beide erinnerten sich nur zu gut an die vergangenen Tage, in denen der junge Königssohn dumpf und brütend vor sich hinstarrend im Sattel gehangen hatte. Selbst mit seinen Freunden hatte er nur das nötigste gesprochen. Nur manchmal hatte er die kleine fast vollkommen vernarbte Wunde am Hals befühlt, und er war jedesmal schamrot geworden dabei, selbst heute noch. Aber hatte er es sich nicht selbst zuzuschreiben gehabt? Den alten Hofmarschall und Waffenmeister des Königs zum Schwertkampf herauszufordern war zweifellos vermessen gewesen, und der erfahrene Kämpe hatte das ungleiche Duell mit einem leichten Schwertstreich beendet. Der Hieb war ungefährlich aber wirkungsvoll gewesen, und noch immer brannte die Narbe. In der selben Nacht hatte der Verlierer sein Pferd gesattelt und hatte den Hof verlassen, so groß war seine Scham gewesen.

"Nun, Gayol," sagte Agorlot nach einer Weile zögernd, "Es tut gut, Euch in so guter Laune zu sehen. Seit wir Ugarit verlassen haben, habt Ihr noch kein einziges Mal wieder gelacht."

"Bis heute," ergänzte Agorlin und ließ seinen Hengst munter tänzeln. "Was habt ihr also vor, mein Prinz?"

Gayol winkte ab. "Den Prinzen vergessen wir bis auf weiteres. Und nennt auch meinen Namen besser nicht."

Er richtete sich im Sattel auf und starrte angestrengt ins Tal hinab. Die Sonne war inzwischen vollends herausgekommen und beleuchtete das kleine Dörflein, in dem es sich nun langsam zu regen begann. Die Straßen und Gassen füllten sich, und bald drangen die Klänge reger Geschäftigkeit zum Hügel hinauf. Gayol musterte die reichbewaldeten Hänge eingehend. Schließlich hob er die Hand ans Ohr und lauschte. Von fernher glaubte er, den Ruf eines Jagdhorns zu vernehmen.

"Es heißt, der König Movennas jage in dieser Gegend," raunte Gayol seinen Gefährten zu. Er lauschte noch einmal, bis er ganz sicher war. Dann stieß er seinem Pferd die Hacken in die Weichen und preschte den Hang hinab. Seine Gefährten folgten ihm zögernd.

*

Das Lager des Königs war bald gefunden; Gayol und seine Freunde hatten nur den Jagdhornrufen folgen müssen und dem schlanken kaiserlichen Jagdfalken, von dem es hieß, er sei vorzüglich abgerichtet und habe noch nie eine Beute verfehlt. Als die drei Reiter herankamen, hatte der hohe Herr den edlen Vogel gerade auf der Faust und erläuterte seiner Tochter die Vorzüge, die dieses Tier vor allen anderen Jagdfalken hatte. Die schöne Acheloyde fuhr dem Vogel sanft über den Kopf und strich sein Gefieder glatt. Dann wandte sie sich wieder ihrem Hermelinchen zu, das sich wohlig in ihrem Schoß räkelte.

Gayol griff sich in die zerzausten Locken und bemühte sich, so gut es eben ging, seine Kleider zu ordnen. Der Aufzug der drei jungen Männer war zwar alles andere als ärmlich, doch hatte der lange Ritt Spuren hinterlassen, die nun nicht mehr so ohne weiteres zu tilgen waren. Aus der Ferne ließ Gayol seine Blicke auf der Königstochter ruhen, doch als sie ihn bemerkte, wandte er hastig den Kopf und schaute in eine andere Richtung. Agorlin und Agorlot waren indessen nicht untätig gewesen. Aus ihren Satteltaschen hatten sie die köstlichsten Kleinodien, die man sich nur vorstellen kann, hervorgezaubert und verteilten sie nun großzügig unter die Jagdgesellschaft: Goldene Spangen, diamantene Ringe, zierlich gearbeitete Schmuckstücke, bunte Tücher aus feinster Seide und was es sonst noch an Kostbarem und Teurem zu erwerben gab. Unter den Gefolgsleuten und Bediensteten des Königs fand sich bald keiner mehr, der mit Gayol und seinen Gefährten nicht gut Freund war.

So kam es, daß die drei, als sie am nächsten Tag vor den König traten, um ihn um eine Anstellung als Kämmerer zu bitten, die wärmsten Fürsprecher fanden. Nur daß die drei Fremden ihre Namen nicht preisgeben wollten, bereitete dem König ein nicht geringes Unbehagen. Doch wußte die freundliche Acheloyde, die Gefallen an dem geheimnisvollen Kleeblatt gefunden hatte, bald einen Ausweg aus dieser Verlegenheit.

"Wenn du ein Vogel sein solltest," wandte sie sich an Agorlot, "welcher Vogel wärst du gern?"

Agorlot besann sich eine Weile. "Ich wäre am liebsten ein Star," sprach er endlich bedächtig.

"Warum willst du ein Star sein?" bohrte die Königstochter weiter.

"Nun," sagte Agorlot, "wenn ich ein Star wäre, dann würde ich so viele Nachkommen haben, daß es bald kein zahlreicheres Geschlecht gäbe als das meinige. Darum, meine teure Prinzessin, möchte ich ein Star sein."

"Dann sollst du von nun an Stare heißen," bestimmte die Königstochter. "Und du," wandte sie sich an Agorlin, "welcher Vogel wärest du am liebsten?"

"Ich wäre gern ein Falke," sagte Agorlin rasch.

"Warum willst du ein Falke sein?" hakte Acheloyde nach.

Agorlin lächelte sie freundlich an, zwinkerte dann ihrem Kammermädchen lustig zu und antwortete: "Wenn die jungen Edelfräuleins auf die Jagd ausreiten, dann würde ich die prächtigsten Rebhühner und alles Wild, das ich fangen könnte, jagen und es dann von oben den schönen Damen genau vor die Füße fallen lassen, damit sie sich freuen. Und alle würden mich loben und sagen: Was für ein schöner Falke. Darum," sagte Agorlin, "darum will ich ein Falke sein."

"Dann sollst du künftig Valke heißen," beschloß Acheloyde. "Und du?"

Gayol zuckte zusammen. Er war so in den Anblick der Prinzessin versunken gewesen, daß er ihre Fragen überhaupt nicht gehört hatte.

"Wenn du ein Vogel sein solltest," wiederholte sie geduldig, "welcher wärest du dann am liebsten?"

"Ich wollte ein Kranich sein," sagte Gayol langsam.

"Warum ein Kranich?"

"Ach," entgegnete Gayol, "dann hätte ich einen so langen Hals, daß bestimmt kein dummes Wort über meine Lippen käme, denn ich spräche nur Dinge aus, die ich mir auf dem Weg vom Herzen zum Mund mindestens dreimal überlegt hätte."

Da lachte Acheloyde hell auf und schlug klatschend die Hände zusammen. "Du sollst mir Crane heißen!" rief sie aus. Und bei diesen drei Namen ist es geblieben.

*

Crane, Valke und Stare, wie man sie von da an nannte, lebten nun am Hofe des Königs und waren bald die Lieblinge des gesamten Hofstaates. Vor allem die junge Prinzessin Acheloyde gewann sie so lieb, daß man sie selten ohne die drei neuen Diener sah. Acheloyde genoß es, sie um sich zu haben, den ernsthaften Stare, den stets fröhlichen Valke, aber vor allem den schweigsamen Crane, dessen Augen immer einen seltsamen Glanz annahmen, wenn sie auf ihr ruhten.

Das enge Verhältnis der neuen Diener zur Prinzessin mußte schließlich auch dem Berater des Königs auffallen, und eines Tages berichtete dieser seinem Herrn: "Acheloyde ist verliebt in einen der drei Kämmerer."

"In welchen?" fragte der König. Er schrie fast.

"Das," sagte der alte Mann, "weiß ich nicht. Aber es gibt einen Weg, das herauszufinden."

Und vor den erstaunten Ohren des Königs entwickelte er einen Plan, der ihnen den Geliebten der Prinzessin unfehlbar entdecken würde.

Den Tag darauf gab der König vor, einer der benachbarten kleineren Fürsten habe ihm den Krieg erklärt, und rüstete ein gewaltiges Heer aus, wie um dem Angreifer zu begegnen. Auch Crane, Valke und Stare folgten dem Zug als Leichtbewaffnete. Acheloyde blieb auf dem königlichen Schloß zurück, und nur ihr zahmes Hermelinchen leistete ihr nun noch Gesellschaft.

Jeden Tag stieg sie hinauf auf den höchsten der Türme und hielt Ausschau nach dem Heer und nach ihren Freunden Crane, Valke und Stare. Und obwohl nur wenige Tage vergingen, glaubte sie, sie müsse schon mehrere Jahrhunderte gewartet haben, als endlich der erste Bote herangeritten kam, der ihr genau das meldete, was ihm der König eingeschärft hatte: "Es steht gut mit dem Krieg, Prinzessin. Euer Vater hat einen großen Sieg errungen. Nur der junge Stare ist tot. Er hat einen Pfeilschuß in die Brust erhalten und starb nur wenig später am Blutverlust."

"Ach," seufzte Acheloyde da, "der arme Stare. Ich werde ihn vermissen." Und sie weinte ein paar leise Tränen in ihr Taschentuch.

Der Bote aber merkte sich genau, was sie gesagt hatte, und berichtete es, als er am Abend zum Heer zurückgekehrt war dem König.

"Das ist er also nicht," stellte der König fest und sandte einen neuen Boten aus.

"Prinzessin," berichtete der am nächsten Morgen, "die Aussichten stehen glänzend. Noch ein paar Tage, und Euer Vater wird die Hauptstadt des Feindes erobert haben. Nur der arme Valke ist auf dem Schlachtfeld geblieben. Sie haben ihn mit der Lanze durchbohrt, er hat nicht lange leiden müssen."

"Ach, der arme Valke," schrie Acheloyde auf. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und weinte laut. "Er war doch noch so jung und hatte sein ganzes Leben noch vor sich."

Am Abend berichtete der Bote ihre Worte getreulich dem König, doch der schüttelte den Kopf. "Das ist noch nicht der Rechte," sagte er schließlich und sandte einen dritten Boten aus, der der Prinzessin meldete: "Prinzessin, wir haben gesiegt! Eben ist die Hauptstadt des Feindes erstürmt worden. Euer Vater ist wohlauf und wird in wenigen Tagen zurückkehren. Nur der junge Crane ist gefallen. Bei der Erstürmung der Burgmauern ist er von einer Steinschleuder erschlagen worden."

Da sprang Acheloyde vom Sitz auf und drückte ihr Hermelinchen so fest, daß es starb. "Crane!" rief sie aus. Sie griff sich nach dem Herzen, taumelte und sank wie tot zu Boden.

*

Es wurde eine traurige Heimkehr für den König. Sein Heer kehrte gesund aus dem vorgetäuschten Kriegszug zurück, und doch, als er nun am Krankenbett seiner Tochter stand, hätte er am liebsten alle seine Männer drangegeben, wenn er sie nur wieder gesund hätte machen können. Teilnahmslos lag sie da, schwach atmend und blaß, und ließ die Kuren der Ärzte willenlos über sich ergehen, ohne nur ein Wort zu sprechen. Traurig schüttelten die Ärzte endlich den Kopf. "Wir haben alles getan, was in unserer Macht steht, Majestät," berichteten sie dem König. "Wenn nicht ein Wunder geschieht, müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen."

Der König seufzte. Dann bat er seine Leibärztin zu sich, eine tüchtige Hexe, die bereits zweimal die schwarze Pest besiegt hatte, und erzählte ihr alles, was ihm seine Boten von der Prinzessin berichtet hatten. Die Medizinerin wiegte bedächtig ihr Haupt und sagte schließlich: "Wenn es sich so verhält, wie Ihr sagt, Majestät, dann besteht vielleicht noch ein wenig Hoffnung. Ich sage: vielleicht, Hoheit. Versprechen kann ich nichts. Wir müssen sehr vorsichtig vorgehen. Auch übergroße Freude kann sie in diesem Zustand töten..."

Die Hexe zog sich in ihr Laboratorium zurück und rührte die ganze Nacht in ihren Tiegeln und Gläsern herum, seltsame Lichterscheinungen und Geräusche drangen nach draußen, und am nächsten Morgen rief sie den jungen Stare zu sich und reichte ihm einen Becher mit einer glasklaren Flüssigkeit. "Bring das der Prinzessin," befahl sie. "Es wird ihr guttun."

Stare tat, wie ihm geboten, und die Prinzessin trank gehorsam den ganzen Becher aus. "Ach, Stare," flüsterte sie, "ich dachte, Ihr seid tot." Damit drehte sie sich auf die andere Seite und schlief erschöpft ein.

"Die Prinzessin spricht wieder," berichtete man atemlos dem König. Der nickte seiner Hexe anerkennend zu. "Dein Trank scheint zu wirken."

"Morgen will ich ihr einen besseren senden," entgegnete die Ärztin, und wieder arbeitete sie die ganze Nacht über in ihrem Laboratorium. Zweimal wurde das ganze Schloß durch ohrenbetäubenden Lärm aus dem Schlaf gerissen, und noch am Morgen lag ein leichter Schwefelgeruch in der Luft. Als die Sonne aufging, ließ sie den jungen Valke rufen und gab ihm wiederum eine durchsichtige Flüssigkeit für die Prinzessin. Valke trug das Gefäß gehorsam in Acheloydes Kammer und kniff dabei ihr Kammermädchen freundlich in den Po, so daß es laut aufquietschte.

"Ach, Valke," lachte da die Prinzessin, "Euch hab ich wirklich vermißt."

"Die Prinzessin hat gelacht," trug sofort ein Bote dem König zu. "Deine Arzneien sind wirklich gut," freute sich der König.

"Wartet bis morgen," meinte der Hexe ruhig.

In der nächsten Nacht bekam niemand im königlichen Schloß ein Auge zu, so laut knallte und zischte es im Laboratorium der Hexe, so hell schossen die Blitze zu den Fenstern heraus, und so heftig stank es nach Schwefel.

Den Morgen aber rief sie Crane zu sich und gab ihm einen weiteren Becher mit glasklarer, durchsichtiger Flüssigkeit für die Prinzessin. Vorsichtig trug Crane die kostbare Arznei hinüber ins Krankenzimmer. Als Acheloyde ihn hereinkommen sah, sprang sie vom Bett auf und leerte das Gefäß mit einem einzigen Zug aus und war von Stund an gesund und munter wie niemals zuvor.

"Deine Medizin hat ein Wunder vollbracht," sagte der König am Abend zu seiner Hexe. "Schreib bitte die Zutaten auf. Ich möchte, daß das Rezept in eine goldene Tafel eingeprägt und in der königlichen Bibliothek aufgehängt wird."

Da lächelte die Hexe verschmitzt. "Eure Majestät werden nur ein einziges Wort einprägen müssen." Sie spitzte den Mund und flüsterte geheimnisvoll: "Wasser."

Der König nickte, als habe er es schon immer gewußt, und wenige Tage später wurde die goldene Tafel feierlich in der königlichen Bibliothek aufgehängt. Was die Inschrift bedeutete, haben allerdings weder der König noch seine Leibhexe jemals einem Menschen verraten.

*

Eine Zeitlang blieb alles ruhig und friedlich im Schloß des Königs, und Crane und Acheloyde sahen einander täglich und waren sehr glücklich und zufrieden dabei. Dem Berater des Königs aber war das unschickliche Benehmen der Prinzessin, die mit einem Diener derart intimen Umgang pflog, ein Dorn im Auge.

"Eure Tochter ist kein Kind mehr, Hoheit," sprach er eines Tages zum König. "Ihr solltet langsam daran denken, einen würdigen Gemahl für sie zu finden."

"Das ist wahr," sagte der König nach langem Nachdenken. Er blickte hinaus in den Schloßpark, wo gerade Acheloyde und Crane seinen Jagdfalken fliegen ließen, und sah ihnen eine Weile belustigt zu.

"Ich denke," meinte er endlich, "ein großes Turnier wäre die beste Gelegenheit, einmal alle jungen Edelleute Movennas und seiner Nachbarn kennenzulernen. Setzt also sofort ein Schreiben auf, daß an meinem Hofe ein Ritterspiel stattfinden soll, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Dem Sieger in diesem Wettstreit will ich die Hand meiner Tochter als Preis geben. Und sollte der Betreffende nicht standesgemäß sein, nun, so mag Acheloyde unter den Anwesenden ihren Mann frei wählen. Die Prinzessin weiß sehr wohl, was sich ziemt, und ich bin sicher, sie wird die richtige Wahl treffen." Der König erhob sich. "Laßt das sofort von den Schreibern vervielfältigen und sendet es in alle Himmelsrichtungen aus. Die Vorbereitung des Turniers überlasse ich Euch. Enttäuscht mich nicht."

Damit war der Berater entlassen. Und während der König herabstieg in den Schloßgarten, um seiner Tochter die gute Nachricht persönlich zu überbringen, begann es im Schloß zu arbeiten und zu rumoren. Flinke Hände nahmen die Arbeit auf, ordneten, werkelten und bereiteten vor. Gespart sollte an nichts werden. Die Organisation dieses Turniers würde alles andere als eine Kleinigkeit sein.

*

Ugarit. Weites, heimatliches Ugarit. Der Rappe schnaubte leise und freudig, doch Crane hatte es zu eilig, um die Schönheiten seines Landes auf sich wirken zu lassen. Wie oft hatte er sich im fernen Movenna heimgesehnt, doch nun hielt er den Blick starr geradeausgerichtet und gönnte dem inzwischen recht betagten Pferd keine Rast mehr. Jahre war er fortgewesen und hatte sich im Laufe der Zeit so stark verändert, daß ihn daheim kaum jemand wiedererkennen würde, selbst sein eigener Vater würde wohl zweimal hinschaun müssen.

Crane schnalzte mit der Zunge und trieb den Rappen zu größerer Eile an. Einmal in all den Jahren bei Hofe hatte er den König um ein Geschenk gebeten. Um ein Schwert hatte er gebeten, als er die Nachricht vom Turnier gehört hatte. Crane wußte selbst, daß die Bitte unverschämt war. Ein Schwert trugen nur die Edelleute, sein Wunsch war gleichbedeutend mit der Bitte um den Ritterschlag gewesen. Es war dem König nicht zu verdenken, daß er abgelehnt hatte. "Ein Schwert kann ich dir nicht geben, mein Bester," hatte er gesagt und den jungen Crane zum Trost mit Diamanten und Perlen und anderem Spielzeug beschenkt, das Crane sofort unter die königlichen Diener verteilte, wonach er den König um Urlaub bat. So brachte er nichts mit nach Hause als seinen alten Rappen.

Crane richtete sich im Sattel auf. In der Ferne glaubte er bereits das väterliche Schloß zu erkennen. Wieder trieb er sein Pferd zu schnellerer Gangart an. Von Stare und Valke hatte er sich an der Grenze getrennt. Auch die beiden anderen zog es nach Hause. Auf dem Turnier würde man sich wiedersehen. Da, endlich das Schloßtor. Crane sprengte hindurch, sprang aus dem Sattel und warf einem der Diener die Zügel zu. "Bringt mich zu König Dassir," rief er mit befehlsgewohnter Stimme und hatte schon den Weg zum Thronsaal eingeschlagen, ehe jemand seiner Aufforderung nachkommen konnte.

*

Es war nicht Dassir, der auf dem Thron saß, als Crane eintrat. König Assundin und seine Frau sahen den Fremden traurig an, als er nach Dassir fragte.

"Dassir ist tot, Fremder," sagte Assundin langsam. "Er verstarb schon vor einigen Jahren. Mir als seinem Hofmarschall hat er befohlen, die Krone zu tragen, bis sein Sohn Gayol zurückkehren wird. Seitdem regiere ich das Land, so gut ich es verstehe. Wenn ich Euch irgendwie helfen kann, Fremder, so sagt es nur..."

Crane senkte den Kopf und schwieg lange Zeit. "Weiß man, wo sich dieser Gayol aufhält?" fragte er endlich.

"Weiß Gott, ich habe schon überall nach ihm suchen lassen," rief der König und hob verzweiflungsvoll die Hände. "Aber bisher blieben alle Nachforschungen ergebnislos."

Crane erinnerte sich an den freundlichen und zuverlässigen Hofmarschall Assundin. Eine treue Seele, der Thron und Krone Ugarits wirklich von Herzen zu gönnen waren. Assundin war es auch gewesen, der ihm den ersten Unterricht in Schwert- und Lanzenkampf gegeben hatte, und er hatte den jungen Prinzen wahrlich nicht geschont dabei. Crane war überzeugt, daß Assundin dem Lande ein weiser und gerechter König war.

"Nicht wahr," fragte er, "es geht Euch sehr gut auf diesem Thron, es wäre ein Segen für Euch, wenn Gayol niemals wiederkäme."

Assundin sprang auf, vor Zorn bebend. "Wie könnt Ihr so etwas nur denken! Mit Freuden wollte ich ihm sofort die Krone aufs Haupt setzen, wenn er nur endlich käme. Es wäre das einzige Glück, das ich alter Mann noch haben könnte, das Wort einzulösen, das ich meinem sterbenden Herrn gab."

"Das Glück, das dieser Thron uns bieten kann," sagte nun auch die Königin, "ist ein Schatten gegen den Gedanken, den jungen Gayol im Elend zu wissen, Fremder. Ihr ahnt nicht, wie wir von Sorgen zerfressen sind." Es klang ehrlich. Crane glaubte den beiden.

"Ich bin Gayol," sagte er entschlossen, und als der König und die Königin ihn ungläubig anstarrten, riß er kurzerhand sein Wams auf und deutete auf eine helle Narbe, die über seine Brust lief. "Die habt Ihr mir damals beigebracht, Assundin, in der letzten Fechtstunde, erinnert Ihr Euch?"

Assundin sprang heran, stürzte mit weitausgebreiteten Armen auf den Totgeglaubten zu, besann sich jedoch eines besseren und kniete vor dem rechtmäßigen König nieder. Gayol streckte die Hand aus und zog ihn zu sich empor.

"Nein," wehrte er ab. "Nicht. Es soll alles so bleiben wie bisher. Ich habe nur eine Bitte an Euch: Bitte gebt mir Euer Schwert. Ich muß ein Turnier gewinnen."

*

Der Tag des großen Turniers um die Hand der schönen Acheloyde war gekommen. Schon seit Tagen waren Prinzen und junge Könige in großer Zahl herbeigeströmt, um ihr Können unter Beweis zu stellen. Aber auch buntes Volk aus dem niederen Adel hatte sich eingefunden. Acheloyde seufzte, als sie von ihrem Sitz aus das Zeichen zum Beginn gab. Ein lauter Fanfarenstoß ertönte, und sofort jagten unten im Sande zwei Ritter aufeinander los und hoben sich gegenseitig mit der Lanze aus dem Sattel.

"Ich wünsche Euch, daß der hübsche Valke gewinnt," flüsterte ihr die Zofe zu. "Oder wenigstens der junge Stare." Was verstand die schon.

Als Agorlin und Agorlot vor wenigen Tagen mit prächtigem Gefolge an den Hof des Kaisers zurückgekehrt waren und sich als die Könige von Osrat und Bavir zu erkennen gaben, da hatte ihr Herz einen Hüpfer getan, und sie hatte der Ankunft Cranes mit gespannter Erwartung entgegengesehen. Wieder seufzte Acheloyde, während unten auf dem Turnierplatz zwei Kämpfer ihre schweren Beidhänder schwangen und sich gegenseitig aus ihren Rüstungen schälten. Ja, sie hatte Crane wiedergesehen. Gestern war er angekommen, im Gefolge des ugaritischen Königs. Crane trug die Kleidung des königlichen Hofmarschalls und war stets um seinen Herrn herum, beim kleinsten Wink seines Königs zur Stelle.

"Ich Unglückliche," murmelte die Königstochter. "Einen Marschall muß ich lieben. O mein Gott, wie soll das nur enden?" Ihre Augen suchten Crane, doch konnte sie ihn in der Menge der Zuschauer nirgends entdecken.

Ein lautes Aaah und Oooh der Bewunderung ging durch die Reihen, als der nächste Recke auf den Kampfplatz geritten kam. Eine ähnlich kostbare Rüstung hatte man in diesem Lande wohl noch nie gesehen. Sie schien aus reinem Silber zu bestehen, und das geschlossene Visier funkelte wie Gold in der Sonne. An seinem Wappenschild erkannte Acheloyde den ugaritischen König, und sie schüttelte verwundert den Kopf. Daß der alte Assundin sich tatsächlich noch auf den Kampfplatz wagte, erstaunte sie. Auch ihr Vater zog die Brauen zusammen, und der andere Ritter unten ließ siegesgewiß sein Pferd tänzeln.

Wieder gab Acheloyde das Zeichen, wieder erscholl der Fanfarenstoß. Die Prinzessin kniff die Augen zusammen. Das häßliche Splittern eines Schildes war zu hören, so hart waren die beiden aufeinandergetroffen. Als Acheloyde die Augen wieder öffnete, saß Assundin ruhig im Sattel und legte von neuem die Lanze ein.

*

Der ugaritische König hatte an diesem Tag genau 23 Ritter aus dem Sattel gehoben, und es bestand daher kein Zweifel, wem die Krone des Turniersiegers zustand. Als die Teilnehmer sich am Abend, umgezogen und verbunden, vor dem Sitz des Kaisers versammelten, gab es keinen, der Assundin nicht bewundernd ansah.

Der König Movennas und Acheloyde erhoben sich und gingen dem ugaritischen König entgegen, der durch die Gasse der Kämpfer auf sie zugeschritten kam. Crane, zwei Schritte hinter Assundin, trug ihm Lanze und Schwert nach. Er warf einen fragenden Blick zu Acheloyde hinüber. Die Prinzessin war sehr bleich im Gesicht, doch griff sie mit fester Hand nach der Siegerkrone und drückte sie nach einigen freundlichen Worten auf Assundins Haupt.

Dann rief ihr Vater die jungen Recken zu sich heran und erklärte, daß, da Assundin bereits verheiratet sei, die Prinzessin nun unter den hier Anwesenden ihren Gatten wählen solle. Aufgeregtes Raunen ging durch die Reihen der Zuschauer, und die heiratslustigen Prinzen und Könige stellten sich manierlich in eine Reihe und lächelten die Prinzessin freundlich an. Valke und Stare traten unauffällig zur Seite und beobachteten amüsiert, wie sich die teilweise recht lädierten Kämpen rasch noch die Haare ordneten.

Acheloyde preßte die Zähne fest zusammen. Langsam, Schritt für Schritt kam sie der Reihe näher. Ihr Herz schlug bis zum Halse. Schon straffte sich die Gestalt des ganz zuäußerst stehenden Prinzen, er lächelte stolz, da sie auf ihn zugeschritten kam, schon hielt die Menge den Atem an, da schritt die junge Königstochter an der Reihe der Prinzen vorbei und blieb vor Assundins Waffenträger stehen. "Den da will ich!" rief sie laut und vernehmlich, so daß es jeder hören konnte.

Der König schrie auf. Sein Gesicht lief dunkelrot an. "Das kommt davon, wenn man Frauen ihre Männer selber wählen läßt!" brüllte er. Er entriß einem seiner Wächter das Schwert und stürmte damit auf die Liebenden zu, die sich bereits in den Armen lagen.

"Sachte, sachte," sprach da Assundin ruhig und legte ihm die Hand auf den Arm. "Vor Euch steht der rechtmäßige König Ugarits, und seid versichert, einen besseren Bräutigam für Acheloyde findet Ihr in der ganzen Welt nicht."

Verwirrt ließ der König das Schwert sinken.

"Im übrigen," fuhr Assundin aufgeräumt fort, "war er es auch, der in meiner Rüstung das Turnier gewonnen hat. Oder habt Ihr etwa im Ernst geglaubt, ich lasse mich mit meinen alten Knochen noch auf dergleichen Ritterspielchen ein?" Assundin lachte. Zögernd stimmte der König in das Gelächter ein, und Agorlin und Agorlot sprangen freudig herbei, um als erste, das junge Paar zu beglückwünschen.

Unter dem Jubel der Festgäste wurde die Trauung vollzogen, und als die beiden schließlich die Ringe getauscht hatten, da gab es auf der ganzen Welt wohl keine zwei glücklicheren Menschen als Acheloyde und Gayol oder, wie sie ihn in Gedanken immer noch nannte:

Crane





© Petra Hartmann