Rimurics Kranich,

zu Nutz und Freude des Prinzen Ardua

im Auftrag seines Vaters, des Königs Jurtak von Movenna,

neu erzählt durch Gulltong,

erster königlich-mogalithischer Dichter

am Hofe des Königs zu Pol Movenn


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Teil II:

Die Rückkehr des Kranichs

"Und so erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau." Der Oberste Priester war eigens aus Vitta herübergekommen, um den jungen König von Ugarit und die Tochter des movennischen Königs zu trauen, und als Gayol nun Acheloyde in die Arme schloß und küßte, war er froh, daß er den weiten Weg unternommen hatte.

"Ein schönes Paar," raunte er dem alten König zu, als die beiden Verliebten nun unter Jubel und Glockenklang den Tempel verließen, hinüber in den großen Festsaal, den man eigens für diese Feier erbaut hatte.

"Ja, nicht wahr," sagte stolz der Brautvater, und vergaß dabei fast, daß er selbst von der Wahl seiner Tochter ursprünglich alles andere als begeistert gewesen war. Erst als sich der Fremde, den man am Hofe nur Crane, den Kranich, nannte, als Königssohn aus dem reichen Ugarit entpuppt hatte, war der alte König umzustimmen gewesen. "Ein wirklich schönes Paar," murmelte er. "Wenn ich jemals zwei Menschen kannte, die füreinander bestimmt waren, dann diese beiden. Selbst ich hätte sie nicht voneinander trennen können."

"Was die Götter zusammengefügt haben, das soll der Mensch nicht scheiden," wiederholte der Priester die Worte, die er während der Zeremonie gesprochen hatte. "Wir wollen ihnen jedenfalls alles Gute wünschen."

Damit traten sie ein in den großen Festsaal, wo sich bereits fröhlich schwatzend und übermütig die Hochzeitsgesellschaft versammelt hatte, und der König Movennas hob als erster den Pokal und trank auf das Wohl seiner Tochter und seines jungen Schwiegersohns.

*

Eine fröhliche, ausgelassene Gesellschaft. Alle Großen des Reiches waren herbeigeeilt, um die Hochzeit Gayols gebührend zu begehen. Valke, Gayols Freund und Kampfgefährte, hatte sich lachend mit einer hübschen Tanzpartnerin ins Gedränge gestürzt, und selbst den ernsten Stare aus dem fernen Bavir sah man an diesem Tage lächeln.

Nur Assundin, Gayols Hofmarschall, der lange Zeit die ugaritischen Regierungsgeschäfte geleitet hatte, schien von Sorgen bedrückt.

"So ernst heute, Marschall," fragte schließlich der alte König. "Dauert es dich bereits, daß der Kranich nach Ugarit zurückkehrte und den Thronsitz nun selbst beansprucht?"

Assundin hob abwehrend die Hände. "Das sei ferne, Herr. Nein, ich bin des Königs Gefolgsmann und ihm treu ergeben."

Der König Movennas kannte die fast sprichwörtliche Treue des Marschalls zum ugaritischen Königshaus. "Was ist es dann," fragte er, "das dir als einzigem die Festfreude vergällt?"

"Ach, Herr," sagte Assundin, "hier im Reiche merkt man wohl wenig davon. Allein, ich habe Nachrichten aus dem Osten. Es heißt, daß Pandochin, der Südlandsfürst, an der Grenze ein mächtiges Heer zusammenruft. Und wenn nur ein Zehntel von dem wahr ist, was mir meine Kundschafter berichteten, so wird keine Armee ihm widerstehen können, wenn er sich erst zum Angriff entschließen sollte. Schon jetzt spielen viele unserer Grafen mit dem Gedanken, offen zu ihm überzutreten. Denn er ist reich und geizt nicht mit Gold und edlen Steinen."

"Ich hörte von ihm und seinem gewaltigen Reich Ssuria," entgegnete der König, nun ebenfalls ernst geworden. "Doch hielt ich die Gefahr für nicht allzu groß. Was soll ich deiner Meinung nach tun, Marschall? Soll ich meine Fürsten zusammenrufen und ein Heer aufstellen?"

Assundin schüttelte den Kopf. "Ich glaube kaum, daß ihn das beeindrucken würde. Pandochin hat Land und Leute im Übermaß. Doch wenn ein einzelner deiner Ritter einen seiner Gefolgsleute besiegte - den mächtigen Acurteis von Schouferland vielleicht - das könnte eine große Wirkung haben."

"Dein Rat ist gut," sagte der König. "Ich werde darüber nachdenken."

"Doch nicht mehr heute," schaltete sich da der Priester ein. Er gab mit der Hand ein Zeichen, und sofort verstummte die Musik. "Ich war so frei, als eine besondere Überraschung für unser Brautpaar, für den heutigen Abend meinen Dichter mitzubringen."

Atemlose Stille herrschte im Saal, als der fremde Gast nun vortrat. Dann flüsterte jemand: "Es ist Rimuric." Wie ein Lauffeuer verbreitete sich der Name von Mund zu Mund. Ja, es war tatsächlich Rimuric von Vitta, der sich zur Hochzeit des Kranich eingefunden hatte und der nun sein neuestes Gedicht vortrug. "Mein Held," sprach der Dichter, "heißt Demantin und ist ein junger Ritter ohne Furcht und Tadel. Wie er durch Mut und Tapferkeit mit dem Schwerte Ehre und Reichtum erwarb, das sollt ihr nun von mir hören."

*

Der Dichter hatte geendet. Doch noch immer schwirrten Verse und Strophen aus dem neuen Epos durch den Raum, von Mund zu Mund flogen die Taten des ritterlichen Helden Demantin, und unter den Rittern des Königs war kein einziger, der es nicht am liebsten dem tapferen Abenteurer gleichgetan und sich sofort aufgemacht hätte, um sich draußen in der weiten Welt mit dem Schwerte Ruhm und Ehre zu erwerben. Als nun der Priester dem Brautpaar eine reichgeschmückte Pergamentrolle mit einer Abschrift der Dichtung überreichte, stand eindeutig fest, welcher der Gäste das kostbarste Hochzeitsgeschenk für Gayol und Acheloyde mitgebracht hatte.

Plötzlich entstand Unruhe am Eingang des Saales. Ein Knabe und ein Mädchen drängten sich heran und warfen sich vor dem movennischen König nieder.

"Herr," rief der Knabe, "uns ist ein großes Unrecht widerfahren. Allein deine königliche Gnade ist nun noch imstande, uns zu helfen." "So sprecht," forderte der König auf, denn für Gerechtigkeit im Reiche zu sorgen, galt als vornehmste Pflicht eines jeden Herrschers. Und der Knabe begann, sein Leid zu klagen.

"Herr," sprach er, "mein Name ist Securio, und dies ist meine Schwester Securia, wir sind die rechtmäßigen Erben des Landes Stire. Doch nach dem Tode unseres Vaters nahm uns Acurteis die Herrschaft fort, und uns jagte er aus dem Lande. Nun ziehen wir schon seit Wochen von Burg zu Burg und leben von dem, was uns mildtätige Menschen überlassen. Aber sie alle versicherten uns übereinstimmend: Der König ist ein gerechter Mann. Der König wird auch euch Recht schaffen."

"Das ist eine sehr ernste Angelegenheit," murmelte der König, als der Knabe geendigt hatte. "Ja," sagte er dann, "ich will euch Kindern helfen. Seht, am heutigen Tage sind die besten und tapfersten Ritter des ganzen Landes versammelt. Wählet aus: Wer immer euch gefällt, der soll euch folgen in euer Land und den argen Acurteis herausfordern. Und mit Hilfe der Götter wird er euch das Land im Zweikampf zurückgewinnen. Seht euch um. Prüfet und wählet. Jeder meiner Ritter wird mit Freuden bereit sein, für euch in den Kampf zu ziehen. Laßt euch Zeit mit der Suche und wählt gut."

Da sprang das Mädchen auf, und ohne zu zögern lief es zu Gayol hinüber und faßte ihn bei der Hand. "Diesen hier wähle ich," rief Securia. "Der Kranich ist der beste Ritter von allen."

Totenstille herrschte im Saal. Endlich brach der König das Schweigen. "Liebes Mädchen," sprach er ernst, "ich weiß, ich habe euch die freie Auswahl zugesagt. Doch bitte ich dich, triff eine andere Wahl."

"Ja," pflichtete der Priester bei. "Es ist sein Hochzeitstag, und die Heiligen Schriften sagen: Wenn jemand sich kurz vorher eine Frau genommen hat, soll er nicht mit dem Heer ausziehen, und man soll ihm nichts auferlegen. Wähle einen anderen Ritter, jeder hier im Saal wird mit Freuden für dich kämpfen, und es sind die Besten des Reiches anwesend."

Doch Securia schüttelte eigensinnig den Kopf. "Einzig der Kranich ist ohne Fehl," beharrte sie.

Ihr Bruder stand verlegen daneben und blickte unsicher zum König hinüber, der die beiden Kinder nun mit sehr ungnädigem Gesichte betrachtete. "Schwester," flüsterte er, "vielleicht sollten wir doch lieber..."

"Ich bin bereit, mit euch zu gehen," sagte da Gayol.

Der König war aufgesprungen. Auch der alte Priester schnappte überrascht nach Luft.

"Acheloyde, Geliebte," wandte sich der Kranich an seine junge Braut. "Ich bitte dich, warte auf mich. Ein halbes Jahr nur, länger darf es nicht dauern. Willst du solange auf mich warten?"

Acheloyde senkte betrübt den Kopf. "Du hast gesagt, du wolltest unter allen Vögeln am liebsten ein Kranich sein. Denn der Kranich hat einen langen Hals, der Weg vom Herzen zum Mund ist weit beim Kranich, dreimal kann er alles überdenken, bevor er es ausspricht, und ihm wird nie ein unbedachtes Wort entfahren, und selten ein dummes. Weißt du das noch?"

Gayol nickte. "Ich habe es mir von allen Seiten betrachtet. Es ist die erste Pflicht eines Ritters, das Recht zu verteidigen und Schwache zu beschützen. Ich kann mich dem nicht entziehen. Außerdem darf ich deinen Vater nicht zum Lügner werden lassen. Laß mich ausziehen zu deinem Ruhm und deiner Ehre, jeder meiner Siege soll im Namen Acheloydes erfochten werden. Ein halbes Jahr nur sollst du warten, das verspreche ich. Siehst du, auch das weiß man vom Kranich: Gleichgültig, wie weit er im Herbste fortzog, er wird wiederkehren, so sicher wie auch der Frühling wiederkehrt."

"Dann geh," nickte Acheloyde. "Ein halbes Jahr sollte ich wohl warten können."

Und der Kranich nahm Waffen und Rüstung und sattelte sein Pferd, dann brach er auf, zusammen mit dem Knaben und dem Mädchen, ins ferne Land Stire und ließ die Hochzeitsgesellschaft und seine junge Braut zurück.

*

Ugarit, weites fremdes Ugarit. Acheloyde stand hochoben auf dem Bergfried der ugaritischen Königsburg und blickte versonnen ins Land hinaus. Ein Zug verspäteter Kraniche auf dem Weg nach Süden strich über die Ebene hinweg, und Acheloyde starrte ihnen nach, bis sie ganz klein wurden und am Horizont verschwanden. Sie war herzlich aufgenommen worden als neue Königin des Landes, Bauern und Bürger hatten jubelnd ihren Weg gesäumt und die Braut des Kranichs willkommen geheißen, und des Königs Marschall Assundin wachte treu und zuverlässig über sie und las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Und doch stand sie jeden Tag stundenlang oben auf dem Turm und wartete auf die Rückkehr Gayols, obwohl seit seinem Aufbruch noch kaum zwei Wochen vergangen waren. "Ein halbes Jahr," seufzte sie. "Ein ganzes langes halbes Jahr."

Plötzlich richtete sie sich auf und spähte angestrengt nach Süden. Ein einzelner Reiter war auf dem Weg aufgetaucht und näherte sich nun der Burg. Für eine Sekunde glaubte sie, es sei Gayol, der bereits jetzt heimkäme. Doch war das Benehmen des fremden Reiters alles andere als das eines Heimkehrenden. Müde und hängenden Kopfes trottete sein Pferd vorwärts, er selbst saß zusammengesunken und vornübergeneigt im Sattel. Nun erkannte Acheloyde auch, wie übel zugerichtet Waffen und Rüstung des Ritters waren. Vor allem der einstmals prächtige Wappenschild des Fremden war von Dellen und Kerben übersät, große Stücke waren mit ungeheurer Kraft aus dem Schilde herausgehauen worden. Rasch stieg die junge Königin vom Turm herunter, um den Fremden gebührend zu empfangen.

Schon auf der Treppe stürzte ihr Achute, ihre Hofdame, entgegen. "Ein fremder Ritter ist gekommen und fragt nach der Königin von Ugarit. Er sagt, er hat Nachricht vom Kranich."

Da sprang Acheloyde die letzten Stufen hinab und eilte dem Fremden entgegen. "Seid mir gegrüßt, Ritter," sprach sie ihn freundlich an. "Wer hat Euch den Schild so zugerichtet?"

"Herrin," sprach der Fremde, "das war ein junger Ritter. Wir trafen uns auf dem Weg nach Stire und maßen uns, wie es unter Rittern üblich ist, im Zweikampf zu Ehren unserer Damen. Fürwahr, so einen Kampf hatte ich noch nie zu bestehen wie gegen jenen, der in eurem Namen focht. Der erste Anprall schon warf mich vom Pferd, dann gings mit Schwertern weiter, die Hiebe fielen hageldicht, und endlich lag ich am Boden. Geh hin zur Königin von Ugarit, befahl er mir da, und sag ihr Grüße vom Kranich. Wahrhaftig, Herrin, einen solchen Ritter hast du."

Da freute sich Acheloyde und war stolz auf ihren Kranich. Assundin aber befahl, daß man dem fremden Ritter ein bequemes Zimmer herrichtete und ihn mit Speisen und neuen Kleidern versah. Am Abend gab man ein Fest aus Freude über Gayols Sieg, und Achute las dabei Verse aus dem Demantin vor.

*

Der Kranich und die beiden Kinder hatten inzwischen ihren Weg fortgesetzt und waren dem Lande Stire bereits um ein gutes Stück näher gekommen, als ihnen auf der Straße ein südländischer Ritter begegnete. So reich gekleidet war der fremde SsurinAm, so sehr glänzte und funkelte seine Rüstung in der Sonne, daß Crane die Augen mit der Hand beschirmen mußte, als er ihn ansah. Allein den goldenen und mit Juwelen besetzten Schild, eine kostbare und sorgsam ausgeführte Arbeit eines Meisters aus Chadashqart, hätte man wohl für das ganze Land Ugarit zu Pfand einsetzen können, und für das Land Stire noch dazu.

"Mich sandte die liebreizende Bonafeide aus, um für ihren Ruhm und ihre Ehre zu streiten," sprach der Südritter und berührte herausfordernd mit der Lanzenspitze den Schild des Kranich. "Gesteh zu, daß auf Erden keine schönere und tugendhaftere Frau als Bonafeide lebt. Oder miß dich mit mir im Kampf." Da schloß der Kranich das Visier und legte die Lanze ein. Beide Kämpfer nahmen Aufstellung.

Der Anprall war heftiger als erwartet. Gayol spürte, wie sein Pferd unter ihm zusammenbrach. Die Lanze war dem Rappen in die Brust gedrungen. Rasch sprang er aus dem Sattel, bevor das Tier ihn unter sich begraben konnte. Schon war der SsurinAm erneut heran, und seine Lanze zielte genau auf Cranes Brust. Crane riß den Schild hoch, die Lanze hatte er weggeworfen. Über den schräggehaltenen Schild ließ er den Stoß abgleiten, packte dann die Hand des Gegners abgleiten und riß daran. Der Südländer verlor das Gleichgewicht, stürzte aus dem Sattel, überschlug sich, kam taumelnd wieder hoch. Schwerter fuhren rasselnd aus der Scheide, die Kämpfer drangen aufeinander ein. Hin und her wogte der Kampf, schon sprühten Funken von den Klingen der Schwerter. Langsam begann die Sonne zu sinken, und noch immer hatte keiner der beiden Ritter eine Lücke in der Deckung des anderen gefunden. Da richtete sich der SsurinAm plötzlich zu seiner vollen Größe auf und rief aus: "Bonafeide! In deinem Namen werde ich siegen!" Er faßte das Schwert mit beiden Händen und ließ es auf den Schild Cranes niederdonnern, der sprang in zwei Teile auseinander, und Crane stand plötzlich schutzlos vor ihm. Da schrie auch der Kranich: "Acheloyde!" schrie er. "Nun steh mir bei!" Er sprang auf den anderen los, rannte ihn nieder, und bevor sich der fremde Ritter besinnen konnte, lag er auch schon auf dem Rücken und hatte das Schwert Gayols auf der Brust. Da mußte der Südländer eingestehen, daß er besiegt worden war.

"Laß mich ziehen," bat er. "Ich bin Harturan, der Bruder des Fürsten Pandochin. Mein Bruder wird dir Länder, Gold und edle Steine schenken, wenn du mich am Leben läßt."

Der Kranich schüttelte den Kopf. "Dein Gold und Geld magst du behalten, ich will es nicht. Gib mir dein Pferd und deinen Schild, beides werde ich brauchen auf meiner Fahrt. Du aber sollst nach Ugarit gehen. Grüße dort die Königin vom Kranich und sage ihr, daß ich bald wiederkehre. Dein weiteres Schicksal mag dann die Königin entscheiden." Und so machte sich der Südritter auf den Weg nach Ugarit. Gayol und die beiden Kinder aber setzten ihren Weg fort.

*

Im Winter kam Agorlin von Osrat zu Besuch nach Ugarit, der Falke, wie er am movennischen Hofe geheißen hatte. Er brachte Nachrichten aus dem Reich mit, doch vom Kranich hatte er nichts vernommen. Nur von Stare wußte er zu berichten, der nun das Königsamt in Bavir versah und in seiner ernsten, bedächtigen Art die Regierungsgeschäfte leitete. Stare würde wohl niemals wieder auf Abenteuer ausziehen, schloß Valke.

Des Abends las die freundliche Achute aus dem Demantin vor, und sie alle lauschten der Erzählung vom mutigen Königssohn aus Antrium und seiner Geliebten Sirgamot. Da hörte man von Ländern wie Ssuria und Bernland und vom sagenhaften Land der Fee Pheradzoye. Auch vom Bildersaal des Zwergenkönigs Commandion erzählte das Gedicht, wo die Porträts aller Ritter und Edelherren an die Wände gemalt waren für alle Zeiten: aufrecht und in hellen Farben die der guten und ehrenhaften Helden, doch dunkel und mit dem Kopf nach unten die aller schlechten und bösen Menschen. Am hellsten und strahlendsten von allen aber leuchtete das Bild Demantins auf, und erster nach ihm war sein Freund, der edle Firganant. Was es nicht alles gab an Wundern in der fernen großen Welt. Dann las Achute vor, wie Firganant auszog, um Demantin zu suchen, der auf seiner Abenteuerfahrt verschollen war, und Valke und Acheloyde lauschten aufgeregt. Firganant und Demantin begegneten sich schließlich und kämpften miteinander, bis sie sich endlich erkannten und einander in die Arme fielen...

Achute brach ab. Ein Diener war hereingekommen und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Wenig später trat der Ritter Harturan ein und berichtete von seiner Begegnung mit dem Kranich. Acheloyde erbleichte, als Harturan den Kampf schilderte.

Valke aber sprang auf und rief: "Wahrhaftig, ich werde ihm nachreiten. Wenn Firganant den Demantin finden konnte, so werde ich auch den Kranich aufspüren. Und ich schwöre dir, Acheloyde, ich werde nicht rasten noch ruhen, bis ich ihn dir zurückgebracht habe."

Noch am selben Tage verließ Valke die schöne Acheloyde und machte sich auf ins ferne Land Stire.

*

Indessen hatte die Reise Cranes und der beiden Kinder eine unliebsame Verzögerung erfahren. Der Knabe Securio war vom Pferd gestürzt und hatte sich eine schwere Kopfverletzung zugezogen. Crane und Securia konnten ihn schließlich auf einem abseits gelegenen Bauerngehöft unterbringen und pflegten ihn, so gut es eben ging. Tagelang lag der Knabe in wirren Fieberträumen, rief nach seiner Schwester Securia und auch nach der anderen Schwester, nach Plansofeide, die den Schouferländer geheiratet hatte, um seiner Herrschaft den Anstrich der Rechtmäßigkeit zu geben. Lange Zeit schwebte der junge Securio zwischen Leben und Tod, bis es endlich den Göttern gefiel, ihn gesunden zu lassen.

An einem klaren Wintertag brachen der Kranich und die beiden Kinder vom Hofe auf und setzten ihren Weg ins Reich Stire fort. Mit Rücksicht auf den Knaben hatte Gayol ein mäßiges Tempo angeschlagen, und der stolze Schimmel, den er von dem südländischen Ritter erbeutet hatte, warf schon unwillig den Kopf hoch, doch ließ ihn sein Reiter weiterhin nur langsam traben.

Plötzlich richtete sich Securia im Sattel auf und rief: "Da vorne! Dort liegt jemand." Tatsächlich, als Gayol und die Kinder näher herankamen, fanden sie am Wegrand einen Ritter liegen, die Rüstung verbeult, der Schild zerhaun, Lanze und Schwert zersplittert. Sein Pferd graste mit zerrissenem Zügel in der Nähe. Als er den Hufschlag vernahm, richtete er sich stöhnend auf und sah Gayol und den Kindern entgegen.

"Was ist Euch denn begegnet, Ritter?" fragte der Kranich.

"Ach, Freund, mir kam ein Recke in den Weg, wie es wohl keinen zweiten gibt auf Erden. War das ein Kampf. Ich glaube kaum, daß Ihr einen Gang mit ihm besser bestehen würdet als ich."

Da rückte der Kranich den goldenen Schild des SsurinAm zurecht und fragte: "Wohin ist er geritten?"

Der andere Ritter wies mit der Hand die Richtung, da sprengte Gayol schon los und ließ die Kinder weit hinter sich zurück.

Er brauchte nicht lange zu suchen nach dem sagenhaften Recken, bald sah er ihn vor sich galoppieren. Gayol stieß einen schrillen Kriegsruf aus, da riß der andere sein Pferd herum, und beide stürmten mit eingelegten Lanzen aufeinander los.

Crane war von Assundin hervorragend ausgebildet worden im Lanzenkampf, doch dieser fremde Ritter schien einen mindestens gleichwertigen Lehrmeister gehabt zu haben. Beide Lanzen trafen millimetergenau die Mitte des gegnerischen Schildes, und ehe sie sich versahen, hatten sich die beiden Helden gegenseitig aus dem Sattel gehoben. Nun gingen sie mit den Schwertern aufeinander los, beides ausgezeichnete Fechter, und doch wollte keinem von beiden der letzte, entscheidende Schlag gelingen.

Endlich hob Crane das Schwert und rief: "Nun steh mir bei, Acheloyde!"

Da warf zu seiner Überraschung sein Gegner Schwert und Schild fort. "Bist du der Kranich, so halte ein. Hier steht Valke von Osrat." Erfreut schloß Gayol den Freund in die Arme, den er so lange vermißt hatte. Dann begutachtete Valke den neuen Schild des Gefährten. "Wie hätte ich dich damit auch erkennen sollen," brummte er. Sie beschlossen, die Reise gemeinsam fortzusetzen, und kehrten zusammen zu den Kindern zurück.

*

Crane, Valke und die beiden Kinder kamen gut voran. Während der Kranich den jungen Securio unterwegs in ritterlichen Tugenden und Fertigkeiten unterwies, sah man nun den Falken immer öfter in munterem Plaudern neben der schönen Securia hertraben.

Sie waren schon sehr weit vorangekommen auf ihrem Weg, als ihnen eines Tages ein Knappe begegnete, der mit sich zwei mit Lanzen und Speeren beladene Pferde führte.

"Heda," rief ihn der Falke an. "Wohin des Wegs, mein Freund?"

"Ich bin auf dem Wege zum Sittichschloß," gab der Knappe bereitwillig Auskunft. "Und wenn euch euer Leben lieb ist, so macht ihr einen großen Bogen um dieses Schloß, oder besser noch: Vergeßt, daß ich davon sprach."

"Erzähl uns von dem Schloß," bat der Kranich, der daran dachte, daß ein Ritter sich niemals Angst einjagen lassen durfte und niemals einem Kampf aus dem Wege gehen sollte.

Da gab der Knappe die Mahnungen auf und berichtete von dem seltsamen Schloß und seinen Bewohnern. "Dort findet jeden Tag ein Turnier statt, und die Ritter, die dort hausen, sind allesamt ausgesuchte Lanzenkrieger und Schwertkämpfer. Den ganzen Tag über kämpfen sie und messen ihre Kräfte, untereinander oder mit fremden Rittern, die so leichtfertig waren, sie zum Kampf herauszufordern. Des Abends aber sitzen sie zusammen in der großen Halle und trinken Bier und essen Wildschweinbraten bis zum Morgengrauen. Wünschest du den Kampf mit einem von ihnen, so reite nur zum Schloßtor hinein. Im Hofe findest du eine hohe steinerne Säule mit zahllosen Sittichkäfigen daran. Reite nur herzu und berühre einen der Vögel mit der Lanze, und sofort wird dich sein Besitzer in den Sand strecken, glaube es mir."

Valke und Crane wechselten einen kurzen Blick. "Das wird ruhmreich," sagte Valke. "Ich bitte dich, laß es mich zuerst versuchen."

Crane hatte nichts dagegen einzuwenden, und so war es Valke, der als erster in den Schloßhof des Sittichschlosses hineinsprengte und mit der Lanze herausfordernd an einen der Vogelkäfige schlug.

"Du hast mich zum Kampf gerufen, und hier bin ich." Wie aus dem Boden gewachsen war der gewaltige Reiter hinter Valke aufgetaucht. Augen und Nüstern seines Streitrosses sprühten Feuer, Rüstung und Schild des Recken waren schwarz und mit dunklen grünen Edelsteinen besetzt, ähnlich der Farbe des Sittichs, an dessen Käfig der Falke geschlagen hatte. "Ich nenne dir jetzt die Regeln, nach denen hier im Schlosse gekämpft wird," sprach der schwarze Ritter. "Wir reiten zuerst mit den Lanzen gegeneinander, dann folgt der Fußkampf mit den Schwertern. Verloren hat, wer zuerst auf dem Rücken am Boden liegt. Besiege ich dich, so bist du mein Gefangener, und du sollst nicht eher wieder frei sein, bis deine Geliebte vor meiner Herrin niederkniete und ihr einen grünen Sittich überreichte. Wenn ich unterliegen sollte, so wird meine Dame das gleiche für mich tun. Nun wappne dich, Fremder, und sei bereit. Du hast dir keinen leichten Gegner ausgesucht."

Da lachte Valke leise und versah seine Waffen. Mit solcher Macht traf er den schwarzen Ritter, daß dieser aus dem Sattel gefegt wurde und eine Weile im Sande liegenblieb. Den schönen grünen Sittich aber schenkte Valke der jungen Securia, die vor Freude errötete und den Vogel sogleich liebgewann.

Als der Kranich sah, wie sehr sich das Mädchen über den Sittich freute, dachte er, auch Acheloyde hätte gern so einen hübschen kleinen Vogel als Spielgefährten. Auch erinnerte er sich daran, wie sie einst ihr zahmes Hermelinchen geliebt hatte, und daran, wie einsam sie den Winter über im königlichen Schloß sein mochte. Da ritt auch er hinüber zu dem Sittichschloß, um eines der Tiere zu erwerben. Er wählte einen schönen hellen Vogel mit silbernen Flügelspitzen und stand bald darauf einem mächtigen Recken in silberner Rüstung gegenüber, der einen milchweißen Wüstenhengst ritt. Wütend jagten sie aufeinander zu, die Lanze des silbernen Ritters zersplitterte an dem mächtigen Schild Harturans, doch Crane hob seinen Gegner aus dem Sattel. Noch während der Ritter fiel, war Gayol schon vom Pferd gesprungen und hatte das Schwert gezogen. Mit einem entschlossenen Hieb gegen die Knie brachte er den taumelnden Ritter endgültig zu Fall und setzte ihm die Schwertspitze auf die Brust. "Den Sittich laß bringen zu Acheloyde, der Königin Ugarits," befahl er.

Da berührte ihn plötzlich eine Lanze von hinten an der Schulter. Crane fuhr herum und erblickte einen goldenen Ritter, auf dessen Helm eine diamantenbesetzte Krone funkelte.

"Ich bin Carifegis, der König des Sittichschlosses," stellte er sich vor. "Du hast soeben meinen besten Ritter besiegt. Ich kann dich nicht gehen lassen, ohne selbst mit dir den Kampf versucht zu haben. Laß uns kämpfen, und wenn ich gewinne, so sollst du ihm den Vogel wiedergeben. Wenn du aber gewinnst, so wird meine Königin nach Ugarit ziehen und deiner Frau einen goldenen Sittich überbringen." Der Kranich willigte ein, und beide nahmen Aufstellung.

Schon an der Art, wie der goldene Ritter zu Pferde saß, erkannte der ungarische König, daß er es hier mit einem erfahrenen Streiter zu tun hatte. Carifegis stürmte heran und hielt dem Lanzenstoß des Kranich mühelos stand. Mit einem häßlichen Krachen zerbrach Gayols Lanze am Schild des goldenen Ritters, der stürmte weiter, riß sein Pferd herum und ging den Kranich erneut an, der nur noch den nutzlos gewordenen Lanzenschaft in der Hand hielt.

"Acheloyde!" schrie Gayol. "Nun steh mir bei!"

Er riß den Schild hoch und stemmte sich fest in den Steigbügel, da fing sich das Sonnenlicht im goldenen Schild des SsurinAm, das gleißende Licht blendete das Pferd Carifegis’, das stieg, der goldene Ritter stürzte, da sprang der Kranich aus dem Sattel, und ehe man sich versah, kniete er auf der Brust des Sittichkönigs.

"Dein goldener Sittich für Acheloyde," erinnerte er. Dann stieg er wieder in den Sattel und ritt davon, ohne sich noch einmal umzusehen.

*

Securia drückte den kleinen Sittich eng an sich und sah besorgt hinüber zu der Burg. Auch ihr Bruder war bleich geworden, biß unruhig auf seine Unterlippe.

"Das ist es also?" fragte Valke.

Ja, das war es, die stolze Festung, von der aus Acurteis das Land Stire regierte. Der Kranich schnalzte leicht mit der Zunge und ließ seinen Schimmel vorantraben. Vor dem Schloßtor hielt er inne, schwenkte die Lanze und rief: "Schouferländer, heraus. Ich bin gekommen, um mit dir um dies Lehen hier zu kämpfen. Komm heraus, stelle dich, oder fliehe und verlasse das Land für immer."

Da lachte Acurteis von den Zinnen herab. "Soso, mein kleiner Schwager hat also einen Ritter mitgebracht."

"Wie konntet ihr nur," schalt Plansofeide ihre beiden Geschwister aus. "Ihr bringt einen fremden Ritter mit ins Land, ist das denn Rechtens? Schämt euch."

"Ach schweig, Schwester!" rief Securia zurück. "Einem Räuber die Hand reichen und zusehen, wie Bruder und Schwester in die Verbannung getrieben werden. Pfui, Plansofeide. Das ist arg."

Inzwischen hatte sich Acurteis gerüstet und kam zum Tor herausgeritten. "So," rief er dem Kranich zu, "nun komm heran, wenn du dich traust."

Da warf Crane den Schild fort, packte die Lanze mit beiden Händen und jagte auf ihn zu. Er zersprengte den Schild des Schouferländers, durchstieß den Harnisch kurz unterhalb der Halsberge und warf den Räuber vom Pferd.

Am Abend zogen Acurteis und Plansofeide fort nach Schouferland, dort mochten sie weiterherrschen oder nicht, doch in Stire sollten sie sich nie mehr blicken lassen.

Crane setzte den Knaben Securio in seine angestammten Rechte ein. Securio wurde später ein tapferer Ritter und war seinem Lande ein guter Verteidiger und ein umsichtiger Herrscher. Seine Schwester Securia aber blieb nicht in Stire. Sie folgte dem Falken nach Osrat, und als sie alt genug war, wurde sie seine Frau.

*

Ein halbes Jahr war seit der Hochzeit des Kranich vergangen, als Gayol endlich die ugaritische Königsburg erreichte. Schon von weitem erkannte ihn Acheloyde und lief ihm entgegen. Stumm fielen sich König und Königin in die Arme.

Zur Feier seiner Rückkehr gab der Kranich ein Fest, wie es in Ugarit noch nicht gesehen worden war. Eine Woche lang feierten die Ugariter ihren jungen König, aber auch berühmte Ritter und große Herrscher aus anderen Ländern waren gekommen, so auch der Priester von Vitta und sein Dichter Rimuric.

Der Kranich empfing den Treueschwur aller seiner Fürsten, und Streitigkeiten um Ländereien schlichtete er gerecht und weise. Die Ritter, die er im Kampf besiegt hatte, traten allesamt in seine Dienste, und auch die Königin des Sittichschlosses, die von Acheloyde mit großer Freundlichkeit behandelt worden war, blieb gerne am Hofe des Kranich. Vor allem aber ehrte der König den Marschall Assundin, der das Land während seiner Abwesenheit gut und zuverlässig verwaltet hatte.

Gayol und Acheloyde lebten noch lange Zeit glücklich und zufrieden in ihrem Lande. Ihre Geschichte aber wurde aufgeschrieben von Rimuric aus Vitta, und er nannte sein Epos

Crane





© Petra Hartmann