TRAUMPFADE

Die 20 besten Geschichten der Storyolympiade 2000
Herausgeber: Stefanie Pappon & Ernst Wurdack

Die Autoren:
Bernd Schneider, Elvira Lauscher, Petra Hartmann, Anton Born, Stefanie Bense, Dorothea Franz, Daniela Hoppaus, Armin Rößler, Catrin Hahne, Gabriele Scharf, Andrea Tillmanns, Christiane Kleine, Petra Vennekohl, Ludger Meese, Detlef Schirrow, Manfred Pisecky, Markus Köller, Uwe Frinker, Daniel Hengst und Olaf Mews Farbcover: Stefanie Pappon

Hardcover DIN A5
136 S.
Preis: 15.- DM (+ Versand 2.- DM)

Infos, Anfragen und Bestellungen bei:
http://www.storyolympiade.de/

1999 gab es das erste Mal eine "Storyolympiade", einen Schreibwettbwerb für Phantastik-Begeisterte AutorInnen im Internet. Damals bewerteten die AutorInnen sebst die eingesandten - anonymisierten - Stories, die später für alle Interessierten ins Netz gestellt wurden. Ein Jahr entschied man sich für eine unabhängige Jury (18 Mitglieder), die die 41 eingesendeten Geschichten bewerteten (incl. Kritik u. Verbesserungsvorschlägen) und anschließend platzierten. Dieses Mal hatte man sich neben dem WWW auch für eine Printveröffentlichung entschieden - eine gute Entscheidung, denn "Traumpfade" musste jüngst ein zweites Mal aufgelegt werden, so groß war die Nachfrage!

Das Layout des Bandes gefällt mir außerordentlich gut. Es besticht durch Einfachheit und Klarheit. Die Figur auf dem Titelcover hat etwas mittelerdisches an sich (Es ist reiner Zufall, dass sich in diesem PARADISE Tolkien-Beiträge befinden); es könnte einer der Zwerge des Düsterwaldes sein, der dem Betrachter zurufen will: "Lest, Ihr Leut, und lasst Euch sagen..."

Und so fühlt man sich denn gleich beim Be-Greifen des Bandes eingeladen zu lesen. Die Seitenzahlen sind in einen Tintenklecks eingefügt, der auch den Background des 2000-er Wettbewerbs-Logos darstellt, eine der kleinen feinen Ideen, die man erst einmal haben muss. Am Anfang stehen die prämiierten sechs Geschichten.
Sechs?
Der dritte Platz wurde dreimal vergeben. Ob die weitere Reihenfolge im Band auch der Platzierung im Wettbewerb entspricht, ist mir nicht bekannt.

Platz 1 bekam Bernd Schneider mit "Die Wahrheit ist irgendwo" - eine Story in einer Halbrealität:

Der amerikanische Wissenschaftler Alan Turing hat in einem geheimen US-Forschungsprojekt "Charly" gebaut. Charly ist ein Computer, dennoch hat er einen "Makel". Turing zögert deshalb, den Computer seinem Chef zu präsentieren; doch der setzt ihm ein Ultimatum: Noch vier Wochen, sonst streicht der Senat das "Charly"-Projekt zugunsten von Edward Tellers Wasserbomben-Projekt... wir wissen aus dem Lauf der Historie, wie die Story ausgegangen ist, aber warum wurde Teller der Sieger?

Die Story ist spannend erzählt, das Ende überraschend, dennoch hätte ich selbst sie nicht prämiiert... weil sie von einer falschen Grundprämisse ausgeht. Welche das ist, darf ich hier nicht preisgeben, sonst verrate ich den Clou der Geschichte. Sorry!

Platz 2 für "Der See der unendlichen Träume" von Elvira Lauscher - eine märchenhafte Geschichte

Im Land Slobodna gibt es den See der unendlichen Träume. Jede Träne eines Bewohners, die seine Oberfläche berührt, wird in neue Träume und neue Hoffnung verwandelt. Ein Zauberer macht sich das zu seinen Gunsten zunutze, doch verlangt er nun eine "Traumgebühr", die steigt und steigt. Mit ihr steigt der Unfrieden in Slobodna. Bis die Träumenöter die Menschen Slobodnas aufrüttelten.

Fast ein Lehrstück, so ernst ist der Stil, ein stiller Appell an uns sich auf die eigenen Träume zu besinnen statt denen nachzulaufen, die andere uns eintrichtern wollen.

Platz 3.1 belegt "Die Krone Eirikirs" von Petra Hartmann - eine mit viel vergnüglichem Augenzwinkern erzählte, an Goethes Zauberlehrling angelehnte Fantasystory.

Ardua, von Beruf Zauberlehrling, hat seiner Chefin ihr Hexenspruchbuch gestohlen und probiert es gleich zum eigenen Nutzen aus. Er ruft den Riesen Orkon herbei, der ihm die Krone des Reiches Mogál beschaffen soll. Natürlich geht einiges dabei schief... natürlich ist Orkon gar nicht so riesig... natürlich versagt Ardua bei der Prüfung, die ihm Orkon auferlegt... natürlich bekommt Ardua seine bittere Lektion... und, erfreulich, landet etwas angekratzt, aber gesund und geläutert wieder auf dem Boden seiner Fähigkeiten.

Langweilig also? Nein! Das Alles ist so humorvoll und lebendig erzählt, das wahre Freude macht die Story zu lesen.

Platz 3.2. geht an den seltsamsten der zwanzig Beiträge: "Geburtstag" (Anton Born) – "seltsam" bezieht sich auf meine subjektive Empfindung. Ein Wirrwarr, in dem ich bei jeder Zeile überlegen musste, ob ich gerade von der Traumwelt oder der Story-Realität lese. Ist Mensch gerade Eichhörnchen, Katze, Specht oder Biber, oder ist es gerade umgekehrt?

"Rache ist alles" von Stefanie Bense landete auf Platz 3.3 - eine harte Erzählung aus dem Reich der griechischen Sagenwelt.

Iskaria hat erlebt, wie Söldner ihr Dorf überfallen und wie sie ihre Schwester erst vergewaltigt und dann getötet haben. Auf der Flucht vor ihnen gerät Iskaria in den Hain der Erinnyen. Die drei Göttinnen der Rache erscheinen ihr im Spiegel eines Teiches. Iskaria entscheidet sich für Alecto, die ihr vollkommene Rache um den Preis des Nichts verspricht. Als sie ins zerstörte verlassene Dorf zurückkehrt, erkennt sie sich selbst nicht wieder. So macht sie sich auf die Suche nach den vier Mördern ihrer Schwester. Ihre Rache ist fürchterlich und als sie erfüllt ist, muss Iskaria feststellen, dass das erst der Anfang war.

Man muss den Atem anhalten, während man die Story liest, so zieht sie den Leser in ihren Bann. Wenn man ihr denn Moral zudichten mag, so würde sie lauten: "Bedenke, um was du bittest, denn es wird dir gewährt" und: "Rache macht nichts ungeschehen".

Ihr seht schon an diesen Beispielen:
Die hier veröffentlichten Stories decken ein breites Spektrum des Genres Phantastik ab. So ist für jeden Geschmack etwas dabei: Reine Fantasy ("Elfen schlafen nicht", "Auf den Schwingen der Nacht"), eine Prise Horror "Nur eine Nacht", reine SF-Stories: "Ernte" (Petra Vennekohl), "Commotio Cerebri" (Ludger Meese), "Der Fluch der Dunkelwolke" (Manfred Piesecky), "Magellans Erben" (Uwe Frinker) und "Die Schlüsselfigur" (Olaf Mews), die mir jedoch nicht so gefielen, weil sie alle eines gemeinsam hatten, so unterschiedlich sie auch in Stil und Handlung sind: Sie hatten einen negativen Ausgang.

Herzlich lachen kann man bei "Die Rückkehr der Götter" von Daniel Hengst: Götter sind auch nicht mehr das, was sie waren, ist die Essenz dieser mit derbem Humor geschriebenen Geschichte. Ein bisschen Rost angesetzt, ein bisschen weniger edelmütig und heldenhaft; aber immer noch gut genug um einen Kriminalfall zu lösen, so präsentieren sich die Götter heute.
"Auf den Schwingen der Nacht" von Andrea Tillmanns gehört zu meinen Favoriten, weil sie lehrt das auch Kleine große Wirkung hat.

Fazit: "Traumpfade" bietet unterhaltsamen niveauvollen Lesestoff der Phantastik in zwanzig kurzen Geschichten, so recht vor dem Einschlafen oder bei einer nachmittäglichen Teepause.

Tip: Gleich ein paar Exemplare ordern... ein ideales Geburtstags/Party/Besuchsmitbringsel

Im eigenen Hause erfordert es die Höflichkeit, dass der Esel von sich selbst zuletzt erzählt, und deshalb komme ich erst jetzt zu Cattleyas Beitrag "Blaue Stunde", der einen stolzen siebenten Platz belegt hat (verzeih mir den "Esel", Gabi! :-) ).

Die "Blaue Stunde" ist jene Stunde, wenn die Dämmerung schon längst heraufgezogen ist und die Sonne an einem wolkenlosen Himmel kurz vor dem Untergehen ist.
Sie wird zum Symbol der Sehnsucht für eine Frau ohne Namen, die auf einer viele Millionen Jahre in der Zukunft liegenden Erde, die kurz vor dem Sturz in die Sonne steht und deren Strahlen für die Menschen tödlich geworden ist, in der letzten noch bewohnten Stadt wohnt - zu schwach schon um sich lange auf ihren eigenen Beinen halten zu können.
Die meisten anderen Menschen wohnen schon in ihrer neuen Heimat, dem Planeten Terra 2, den Cattleya vielsinnig "EDEN" getauft hat
(ein Schlitzohr, wer da an den TCE denkt).
Die Frau ohne Namen ist fasziniert von der Erinnerung einer anderen Frau, die Millionen Jahre vor ihr gelebt hat, die sie in einem Holospeicher entdeckt hat...
die Erinnerung an eine ganz besondere Blaue Stunde.
Hat sie noch die Kraft und den Mut für den Flug nach EDEN, fragt sich die Frau ohne Namen, die - das stellt sich jetzt erst heraus - auf einer Liege in einem Raumschiff ruht, welches im Begriff ist nach EDEN zu fliegen.
Sie weiß: Nur die Robustesten überleben den Flug und kommen auf dem nahezu unberührten neuen Heimatplaneten zurecht.

Es versteht sich von selbst, dass ich Cattleyas Story hier nicht weiter rezensiere - statt dessen...
Lest sie einfach selbst.
Cattleya hat uns nämlich den Abdruck hier im PARADISE erlaubt (danke Gabi!).

 


Verfasser: Joachim Kutzner

In: PARADISE 44 (Ausgabe 2/ 2001), Fanzine des TCE (Terranischer Club EdeN).